/die innere stadt, in: HIEB – Ganz Wien in einem Magazin

in der herzgruft schlägt die stunde der wahrheit

jetzt wirft die burenwurst lange schatten und

ein mann ohne alter erinnert sich an eine jugend ohne gott

woher nehmen wenn nicht stehlen fragt der blinde bucklige und

der dozent für festkörperphysik verzweifelt über seinen atomkernen

ungehobelte kutscher auf betrunkenen gäulen ziehen einer sopraneuse das fell über die ohren und

ein tumber tor hält sich für dante oder einen hummer oder für sonstwas

irgendeiner erzählt geschichten aus dem wienerwald währenddessen

nähert sich ein strauchdieb einem flatterhaften wesen in lila

im katasteramt zuckt verzweifelt vergessenes neon

vor sich hin starrend redet einer müde über glaube liebe hoffnung

jedenfalls hocken sie alle wieder im bräunerhof verrauchte geschöpfe huren hie und da

kasimir ruft karoline sie hört ihn nicht wer weiß warum

drüben schwadroniert ein recht seltsamer herum und

ein weißrotgestreifter zwergpinscher beschwert sich über gott und die welt na und wer will das wissen

vor dem ambassador wechselt geld zweifelhafter herkunft den besitzer

über dem heldenplatz verdächtige stille nur das pochen vergangener zeiten irgendwo im kopf

der ewige spießer ist wieder unterwegs ein kind unserer zeit ja doch

in den trafiken wird gezänkt und misanthropisch herumgepiefelt

ein schwarzer herr aus burundi verkündet endlich die zeit der magie

in einer musikalienhandlung geraten zwei fdur aus den fugen

in modernden gewölben herrscht ewiger friede jedenfalls

verspielt ein mann aus gutem hause seinen ruf in einer roten bar ohne hinterausgang mit frauen in silbernen röcken

eine elevin mit besten manieren schwänzelt durch das verwelkte rosarium im volksgarten soll sie soll sie doch

vor der pestsäule steigen die neuesten gerüchte empor

ein chasside glättet die falten seines kaftans und

beim palais pallfy wartet das mädchen aus der registratur auf einen höheren beamten ungeduldig verbotene liebe

junge falter lassen ihr leben im licht der straßenlaterne

die kuppel von maria am gestade spiegelt sich im grauen fluss und

tauben vergiften den park dazu

wiener bonzen wohin man schaut siehe da

ein mann ohne eigenschaften tarockiert mit einem blauen portugieser aber

die letzten tage der menschheit sind fern und

in einer mokkatasse mit goldrand lächelt obers weißgelb

wittgensteins neffe wirr wie immer spricht mit sich selbst

eine weithin bekannte diseuse verfällt einem schwerenöter von format

ein mann der theorie sucht nach einer erklärung für alles

der glöckner von st peter kriecht aus seinem verlies zählt nachtschwarze vögel

und tief unten in der gruft zittern bleichlich die gebeine

(veröffentlicht in: HIEB – Ganz Wien in einem Magazin, Nr. 2 / Winter 2018)


 
 
 

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