/Mein milliardenschwerer Kumpel

Brüssel, Mitte der 1970er Jahre. Da wurde fleißig am neuen Europa gebaut, so manches alte Stadtviertel machte Bekanntschaft mit der Abrissbirne. Ich war damals, als Siebzehnjähriger, Schüler an der dortigen Deutschen Schule. Und einer meiner Klassenkameraden sollte eines Tages der achtreichste Mann der Welt werden, der Deutsch-Brasilianer Eike Batista. Wahnsinn.

Natürlich war er anders als wir. Selbstbewusster. Frecher. Stärker. Auf dem Schulhof. Und bei den Mädchen. Eike hat sich Dinge getraut, zu denen wir anderen nicht den Mut hatten oder einfach noch zu schüchtern waren. Er hat sich eine Menge herausgenommen und er wusste seinen Kopf durchzusetzen. Er war arrogant und eingebildet, dann wieder nett und freundlich und kameradschaftlich. Er war verwöhnt, oberflächlich und aufbrausend, manchmal störrisch und verstockt, dann wieder war er lustig und hat jeden umarmt. Er sah ziemlich gut aus, war aber nicht besonders groß, eher untersetzt, dabei einigermaßen sportlich. Irgendwie komisch, wenn ich das Gesicht von Eike Batista heute sehe. Immer wieder taucht es jetzt als Foto auf, begleitet von negativen Schlagzeilen in den globalen Wirtschaftsnachrichten. Der Mann, der vor kurzem noch dreißig Milliarden Dollar besaß und einer der reichsten Männer der Welt war, ist nur noch simpler Millionär, einige seiner Unternehmen sind wohl so gut wie pleite, und es gibt eine große Schuldenlast. Ist das wirklich dieselbe Person, die mit mir zusammen an der Deutschen Schule in Brüssel gewesen war? Derselbe Typ, auf dessen rotem Motorrad ich oft als Sozius die Avenue Tervuren hinunter in die nächtliche Altstadt gefahren war? Derselbe junge Mann, mit dem ich und ein anderer Schulkamerad, ein Norweger namens Ottar, gemeinsam auf großer Interrailtour waren?

Wie oft hatte Eike uns, seine Freunde und Klassenkameraden, in die Villa seiner Eltern eingeladen, in einem hübschen Brüsseler Vorort in der Domain de Fuji gelegen. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich jedes Mal war, dorthin zu kommen. Denn bei Eike gingen die hübschesten Mädchen ein und aus, wurde die lauteste Musik gehört und es gab einen großen Swimmingpool, an dessen Rand wir herumlungerten. Eikes Familie, es gab auch noch seine Geschwister, war schon damals ziemlich wohlhabend, aber natürlich hatte keiner von uns geahnt, welches unglaubliche Vermögen unser Schulkamerad später machen würde, zu dem mehrere Privatflugzeuge und Yachten gehörten. Damals reichte ihm sein Motorrad – und der Mercedes seines Vaters. Ich erinnere mich, wie wir eines späten Abends mit eben diesem imposanten Mercedes in die Brüsseler City gefahren sind, nur um irgendwo ganz besonders gute Fritten zu essen. Eike hatte noch keinen Führerschein. Er hatte sich einfach heimlich in die Garage geschlichen und den Wagen ohne Wissen seines Vaters genommen, sich hinters Steuer gesetzt und mich auf dem Beifahrersitz einsteigen lassen. Ich hatte Bedenken, natürlich, aber Eike hat sich nichts dabei gedacht, und gut fahren konnte er obendrein. Und während ich nach den weiß behandschuhten Flics auf ihren schweren blauen Motorrädern Ausschau hielt, fuhr der junge Mann, der später ein Milliardenimperium aufbauen sollte, ohne Furcht und ziemlich schnell die großzügigen Boulevards entlang, den Arm cool aus dem offenen Seitenfenster haltend, durch das die laue Brüsseler Nachtluft hereinkam.

Brüssel 1974, das war eine wirklich schöne Zeit. Wir Schüler turnten in den dicken schummrigen Röhren im noch nicht renovierten Atomium herum, stöberten in den Läden rund um Notre-dame du Sablon, gingen ins Kino und spielten Billard in einem kleinen Café in Stockel. Und an der Deutschen Schule im Brüsseler Stadtteil Wezembeck-Oppem hatte ich mich sofort wohl gefühlt. Vor allem weil dort nicht nur Schüler aus Deutschland waren, sondern aus aller Welt. Die meisten von uns waren im großen Hauptgebäude untergebracht, andere, darunter auch Eike und ich, in kleineren Pavillons, die auf dem Schulgelände verteilt waren. Ich erinnere mich noch gut daran, wie es mir gefallen hat, in den engeren Kreis um Eike aufgenommen zu werden, eine vermeintlich besondere Clique, die nicht von allen geliebt wurde. Das lag vermutlich an dem jugendlich unreifen elitären Gehabe, das wir an den Tag legten, einer gewissen Aura des Höheren, die wir um uns herum erzeugten, angeführt das Ganze natürlich von Eike. Ich war damals mit einem Mädchen aus meiner Klasse befreundet, einer „Intellektuellen“, gesellschaftlich engagiert und kritisch. „Wie kannst du nur mit diesem reichen Typen herumhängen, du bist doch gar nicht so oberflächlich, du passt doch überhaupt nicht zu denen“, hat sie mir vorgehalten. Ich aber war stolz, dazu zu gehören, denn ich war vom Typ her eher ruhig und zurückhaltend und die Tatsache, dass ich mit zu Eikes Clique gehören durfte, tat meinem jugendlichen Selbstbewusstsein gut.

Die einzige Person, vor der Eike wirklich Respekt hatte, war seine Mutter, Frau Fuhrken Batista, eine große, dunkelhaarige, ruhige, aber bestimmende Frau, die Eike einiges durchgehen ließ, ihn aber auch mit harter Hand anfasste. Eine Szene ist mir unvergesslich. Eines Tages hatten sich wieder einige von uns bei Eike eingefunden, in der Villa der Eltern. Und ich bekam mit, wie Eike von seiner Mutter ermahnt wurde, doch bitte seine Kondome nicht für jeden sichtbar herumliegen zu lassen. Offenbar hatte Eike mal wieder Besuch von einer seiner Freundinnen, und Frau Batista wollte offenkundig vermeiden, dass die Nachwirkungen des erotischen Treibens für andere augenfällig wurden. Wir staunten, denn die Welt der Mädchen war für uns noch ziemlich kryptisch, während Eike auf diesem Feld schon viele Erfolge vorweisen konnte.  Auch an Eikes Vater kann ich mich noch gut erinnern. Womit er sein Geld verdiente, war uns nicht wirklich klar, wir wussten nur, dass er irgendwann einmal Politiker in Brasilien gewesen war. Herr Batista war eine beeindruckende Gestalt, umgeben von einem irgendwie geheimnisvollen Nimbus. Im Sommer schlurfte er im Habitus eines alternden brasilianischen Machos mit braungebranntem nacktem Oberkörper in Badelatschen und Shorts herum, präsentierte einen stolzen Bauch, seine ziemlich langen grauen Haare nach hinten gekämmt. Man sprach Deutsch und Portugiesisch und noch ein paar andere Sprachen, die Familie war weltläufig und freundlich und führte ein offenes Haus.

Einer der Höhepunkte meiner Bekanntschaft mit Eike (wir waren keine Freunde im engeren Sinn, aber gute Klassenkameraden) war unsere Interrailreise, die uns zuerst nach München und Italien führte, dann nach Südfrankreich, und weil es uns dort nicht gefiel, fuhren wir schließlich nach Dänemark und weiter nach Norwegen, wo die Eltern von unserm Kumpel Ottar zu Hause waren. Es gibt ein Foto von Eike, irgendwo in der norwegischen Tundra, in weißen Turnschuhen, die mittellangen braunen Haare mit einem Stirnband gebändigt. Selbstbewusst, die Hände in den Hosentaschen, blickt er in die Ferne, als hätte er ein größeres Ziel vor Augen. Ich weiß noch, wie er mich in Norwegen aus einer etwas misslichen Lage befreite: Meine Geldbörse war am Meer in eine sehr enge und tiefe Felsspalte gefallen, und ich hatte es nicht geschafft, so tief in die dunklen und vom Meerwasser umspülten Felsspalten hineinzukriechen und sie von dort unten heraus zu holen. Für Eike war das kein Problem, und kurze Zeit später hat er mir meine Geldbörse wieder übergeben. Und so hat er wohl seinen Weg gemacht: Während andere zögern, ist er auf sein Ziel losgegangen, entschlossen und mit dem Willen, letztlich das Beste für sich selbst herauszuholen. Als ich dann später die Deutsche Schule verlassen musste, weil wir zurück nach Deutschland zogen, haben Eike und ich uns aus den Augen verloren. Er hat dann wohl in Aachen studiert und ist irgendwann nach Rio de Janeiro zurück gekehrt. Jahrzehnte später konnte ich seine Erfolgsgeschichte und dann auch das Zusammenschmelzen seines Milliardenvermögens  in den Medien verfolgen. Vor einiger Zeit habe ich Eike einen Brief geschrieben, fast vierzig Jahre nach unserer letzten Begegnung in Brüssel: Eike Batista, c/o Grupo EBX, Praia do Flamengo 154, Rio de Janeiro. Geantwortet hat er nie.