/E.T.A. Hoffmanns „Olympia“ und die anderen
E.T.A. Hoffmanns „Olympia“ und die anderen: Der ewige Traum vom künstlichen Menschen
Begibt man sich heutzutage auf die Suche nach der idealen Frau, so scheint diese fast überall präsent. Die schöne bunte Medien- und Werbewelt präsentiert uns einen durchaus fragwürdigen „Idealtypus“ von Frau, dem ein hohes Maß an „Künstlichkeit“ immanent ist. Diese „Kunstfrau“ verfügt über eine „ideale Figur“, bringt „ihr Idealgewicht“ auf die Waage, trägt die „ideale Frisur“, passt sich ideal jedem Modetrend an und weiß, welches Essen ideal für sie ist. Die „künstliche Frau“ von heute lächelt uns aus dem Fernseher heraus an und posiert sexy (und für den „nicht-künstlichen“ Normal-Mann unerreichbar) auf den Covern der Magazine. Zu sagen hat sie nicht viel. Das übernehmen die Herren der Schöpfung. Schweigen – und für den Mann da sein, eben wie Hoffmanns „Olympia“, jenes Geschöpf des Professor Spalanzani, das sich am Ende als das entpuppt, was es ist: als „mechanischer Apparat“. Zeit seines Lebens war E.T.A. Hoffmann fasziniert von Automaten und Marionetten. Eine Faszination, die sich intensiv in Hoffmanns literarischem Werk manifestiert. In der Erzählung „Der Sandmann“, der späteren Vorlage für den ersten Akt der Oper „Hoffmanns Erzählungen“, ebenso wie zum Beispiel in „Der Magnetiseur“, wo eine Frau namens Maria in pseudowissenschaftlicher Manier „mesmerisiert“ wird. „Die magnetische Behandlung verwandelt die Frau in einen psychischen Apparat, während der imaginäre männliche Blick, der die tote Puppe phantasmatisch besetzt, sie gleichsam zu Leben erweckt und alles Maschinenhafte im Sinne eines fest umrissenen Bildes von Weiblichkeit umdeutet. Weil dieses Bild fix und fixiert ist, muss die starre, schweigende, stille Automatenfrau (…) beinahe zwangsläufig als himmlisch erscheinen.“ (1)
Auch E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Die Automate“ gehört natürlich in diesen Kontext, eine Geschichte rund um einen wahrsagenden „künstlichen Türken“. Auf die Idee dazu wurde Hoffmann durch den berühmten „automatischen türkischen Schachspieler“ des Pressburger Barons Wolfgang von Kempelen (1769) gebracht, der „Sensationen bewirkte – bis zur Entlarvung; denn in Wirklichkeit war in diesem Automaten ein kleiner Mensch verborgen“ (2).
Gott hat den Menschen erschaffen. Will der Mensch es Gott gleich tun? Nach Helmut Swobada (3) lässt sich der „Künstliche Mensch“ unter drei Gesichtspunkten betrachten: „Mythos und Magie“, „Biologie“ und „Technologie“. Der erste Ansatz umfasst jene Versuche, den göttlichen Schöpfungsakt mehr oder weniger direkt nachzuvollziehen. Die „biologische“ Betrachtungsweise reicht vom faustischen Homunkulus bis zum Gen-Klon der (nahen?) Zukunft. Der technologische Aspekt schließlich umfasst Automaten, Roboter, Cyborgs und ähnliche „Produkte“, sowie Fragen der „Künstlichen Intelligenz“, die heute in aller Munde ist.
Etwa zur selben Zeit, in der Hoffmann seine phantastischen Geschichten schrieb, entstand der Roman „Frankenstein oder Der neue Prometheus“ von Mary Wollstonecraft Shelley, der die erst 19jährige Engländerin mit einem Schlag berühmt machte: „Unfähig, den Anblick des von mir geschaffenen Menschen zu ertragen, rannte ich aus dem Raum (…). Eine wieder belebte Mumie konnte nicht so hässlich sein wie dieses schreckliche Geschöpf. Ich hatte es vor Augen gehabt, solange es noch unfertig war (…), aber als die Muskeln und Gelenke sich schließlich bewegen konnten, wuchs es sich zu einem Wesen aus, wie es nicht einmal Dante erfunden hat.“ (4)
Im Mittelalter spielte der Mythos von der zum Leben erweckten Alraunwurzel eine Rolle. Und später (bis hinein in das 17. Jahrhundert) die Sage vom Golem, die auch Vorlage für den Roman „Der Golem“ von Gustav Meyrink und den berühmten deutschen Stummfilm (5) werden sollte. Der Golem-Mythos entstand vermutlich zwischen 200 und 500 nach Christus: Ein Rabbi erschafft sich einen Diener, indem er einen Klumpen Lehm entsprechend formt und belebt. Der so zum Leben Erweckte wächst und wächst und übertrifft an Kraft bald den Meister, der ihn schuf.
Machen wir einen großen Sprung von den Horror- und Lehmgeschöpfen in die Science Fiction und zu einem einst revolutionären Begriff, der längst unverzichtbarer Faktor industrieller Produktion und selbstverständlicher Sprach-Gebrauch geworden ist: Roboter. Die Bezeichnung „Roboter“ für ein automatisches Geschöpf stammt von dem tschechischen Schriftsteller Karel Capek. In seinem Stück „R.U.R. – Rossum’s Universal Robots“ ersetzen fabrikmäßig erzeugte künstliche und ebenso willige wie billige Arbeiter mit minimalen Bedürfnissen, eben die Roboter, die teuren menschlichen Arbeiter, die obendrein noch Ansprüche zu stellen wagen. Ähnlich ergeht es der Maria in Thea von Harbous Roman „Metropolis“ (1926 bekanntlich verfilmt von Fritz Lang): „Maria, die sich unter der Erde um die Arbeiterkinder sorgt, wird durch einen bösen Roboter ersetzt, der ihrem Ebenbild bewusst einspricht und die Arbeiter zur Revolte anstachelt.“ (6) Und heute? Androiden und Cyborgs gehören selbstverständlich zu unserer von Hollywood und Fernsehen, Videogame und Internet determinierten Alltagskultur. Von „R2-D2“ aus „Star Wars“ und der Replikantin aus „Blade Runner“, über den „Terminator“ und „Robocop“ bis zu den unzähligen virtuellen Geschöpfen und Avataren, die sich im Web tummeln. Sexroboter? No problem, allerdings (noch) ziemlich teuer,dafür willig und verfügbar (und immer ansehnlicher). Auch die entsprechenden Bordelle gibt es ja längst.
Demnächst, so jedenfalls ist zu befürchten, wenn wir den TV-Nachrichten glauben dürfen, werden wir das erste Klon-Baby wohl tatsächlich zu Gesicht bekommen. Ein vom Menschen geschaffenes menschliches Geschöpf, wie es von der Natur so eigentlich nicht vorgesehen ist. Da kann Mann nur hoffen, dass die Klone von morgen nicht so aussehen wie jene französische „Forscherin“ und Angehörige der „Raelianer-Sekte“, die uns vor laufenden Fernsehkameras vom ersten Klon-Baby berichtet hat. Oder handelt es sich bei dieser Frau am Ende gar selbst um ein Kunstprojekt?
(1) Wolfgang Müller-Funk: Die Maschine als Doppelgänger, in : Wunschmaschine – Welterfindung, Wien 1996
(2) in: Dieter Wuckel: Science Fiction – Eine illustrierte Literaturgeschichte, Leipzig 1986
(3) s. Helmut Swoboda: Der künstliche Mensch, München 1967
(4) aus: Mary Shelley, Frankenstein
(5) „Der Golem, wie er in die Welt kam“, Stummfilm, Deutschland 1920, Regie und Hauptdarsteller: Paul Wegener
(6) in: John Clute: Science-Fiction – Die illustrierte Enzyklopädie, München 1996
(Auftragsarbeit für das Kulturprogramm von Siemens Österreich im Rahmen der Salzburger Festspiele)