/Ausnahmezustand

Seit ich unter erheblichen Zwischenhocheinfluß geraten bin, ist nichts mehr wie es war. In meinem Hirn nisten bunte Luftballone. In meinen Ohren klingt unentwegt die Neunte von Ludwig v.B. Mein Blick ist stierig geworden oder glasig, ganz wie Sie wollen. Mein Gang ist watschelnd. Unsicher, geradezu stümperhaft komme ich daher. Meine Zunge hängt mir aus dem Mund. Die Knie zittern. Mit meinen Segelohren sehe ich aus wie ein Dorfdepp. Das Hoch heißt Christina, es ist brunette und mit einer kollossalen Oberweite ausgestattet. Wirklich beeindruckend.

Über Caracas tobt der Taifun. In Vietnam Dürre. In Miami schlottern die Rentner im Eisregen. In Mozambik kommen Heuschrecken vom Himmel. Und in Leobersdorf machen die Schafe dummes Zeug. Gegen die Luftballone könne man nichts machen, sagt der Herr Doktor. Solange es keine blauschwarzen sind, sei nichts zu befürchten, sagt der Herr Doktor. Ich erwarte Tief Peter. Wenn die Kaltfront kommt, verschwinden die Luftballone aus dem Kopf und es ist wieder Platz zum Denken. Im Moment hat allerdings ein heftiger Antizyklon das Sagen. Vergeblich suche ich den Himmel nach Stratocumulus&Co. ab. Nichts. Keine Spur davon. Und in Miami laufen die Leut Schlittschuh! Wie soll man sich unter diesen widrigen Umständen den ungeklärten Fragen der Föhnforschung widmen? Wenn das Packeis schmilzt, haben wir auch im Café Prückel nichts mehr zu lachen. So viel steht fest. Und niemand will sich mehr an die Bauernregeln halten, am allerwenigsten die Bauern selbst mit ihren Steckrüben und Kohlköpfen. In Trinidad hält man Rum für das beste Rezept gegen Klima-Unbill, in Nairobi dürfen die Frauen bei miesem Wetter Seifenopern im TV anschauen, die Herren der Schöpfung rennen derweil ins Puff und kommen krank nach Hause zurück in die Strohhütte, die Inuit versorgen sich mit Robbenfleisch, so lange noch Zeit dazu ist. Katastrophales Wetter in Rheinland-Pfalz: Hagelkörner in Straußeneigröße kommen laut BILD herunter und sorgen für Chaos auf den Straßen. Verabredungen platzen, Termine scheitern, Autos suchen Geborgenheit auf dem Standstreifen. Die Feuerwehr muß ausrücken. Saufen sei jetzt ganz schlecht, sagt der Herr Dottore. Man müsse abwarten. Liebe sei vielleicht zu empfehlen. Lange Spaziergänge. Auf keinen Fall gebe man sich kunsthistorischen oder philosophischen Betrachtungen hin, und unter gar keinen Umständen der Dichtkunst. Als Föhnforscher sei ich ohnehin besonders gefährdet, sagt der Gott in weiß.

An der Wetterstation in Königsberg beziehungsweise Kaliningrad hält man sich kategorisch an keinerlei Vorhersagen. Auf der Zugspitze spielt das Barometer verrückt. Der Hygrometer in Binz auf Rügen ist ausgefallen. Die Diplommeterologin als Ahungslosigkeit in Person. Hauptsache, die Bluse sitzt. Im Beisl bestelle ich mir ein Krügerl und ein Schweinscordon mit allem Drum und Dran. Auf keinen Fall werde ich klein beigeben. Tropisches Reizklima, na und! Her mit dem Blunzengröstl! Die NASA schießt Spezialsatelliten in den Orbit, denen nichts mehr entgeht. In Bejing wischt sich der Große Vorsitzende den Schweiß von der Stirn. Die Wetterfee ist blond und knackig und im vierten Monat.

Im Beisl schwirren die Rauchschwaden wie Cirruswölkchen über der Schank. Ob ein Schnapserl hilft, das Schweinscordon ordnungsgemäß in den Stoffwechsel zu bringen? Der Wirt sagt, wenn der Polarbär seine Heimat verliert, könne auch er seinen Laden hier dicht machen. Das Klima stimme nicht mehr. Weder am Pol noch in Wien-Hernals. Überall Wetterstürze, Störungen, Erwärmungen. Und auf der Hohen Warte feiern sie das Sauwetter mit schweinischen Witzen. Die Prognose sei nicht schlecht, sagt der Herr Doktor. In einer Woche, vielleicht auch in zwei würde alles anders aussehen, sagt der Weißkittelakademiker, zu dem ich nun schon seit 15 Jahren wegen meiner vielen unerträglichen Zipperlein renne. Die Sprechstundenhilfe des Quacksalbers hat ein Gesicht wie ein Wetterfrosch. Im Wartezimmer summt die Klimaanlage. Die Patienten haben dunkle Schweißflecken unter den Achseln. An der Wand ein anatomischer Querschnitt, der für Hypochonder wie mich nicht gerade das Wahre ist. Die ausliegende Presse ist zwei Jahre alt. Diese Monaco-Prinzessin hat auch schon mal besser ausgesehen. Als Föhnforscher steht man immer kurz vor dem Irrsinn. Aber unser Herr Dottore beruhigt. Alles halb so wild. Das Mikroklima wirkt direkt auf die Hypophyse, das sei nun einmal eine erwiesene Tatsache. In Washington tanzen Kinder in einem Brunnen. Ein Hydrant speit Wasser. Ein Rentnerehepaar kollabiert in seinem Wohnwagen in Stockton, Ohio. Der Wirt sagt, wenn das so weiter geht, würde er mit der Kellnerin auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Timbuktu. Onewayticket. Trockenes Wüstenklima. Ungesund zwar, aber immer noch besser als das Klima hier in diesem Land. Mit der Kellnerin hätte er schon gesprochen, sagt der Wirt, und seiner Frau würde er noch rechtzeitig Bescheid geben. Am Abreisetag. Der Umweltminister hält eine Rede vor Klimaexperten. Ja. Nein. Man werde alles tun. Selbstverständlich. Die Werte müssen runter. Die Parameter geändert werden. Vielen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das Schweinscordon liegt schwer im Magen. Noch ein Krügerl, bitte. Die Polkappen sehen gar nicht gut aus im Fernsehen. Das Walroß denkt sich seinen Teil und taucht in tiefere Gewässer ab. Der Eskimo haut seinem Jungen eine runter, weil der schon zum fünften Mal mit der Harpune auf die Großmutter geschossen hat. In Ostbengalen bricht ein Vulkan aus, dessen Namen weder ich noch der Wirt aussprechen kann. Die Kellnerin hat einen strammen Hintern. Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet Föhnforscher geworden bin. Ich finde immerhin, die Tätigkeit harmoniert ausgezeichnet mit meinen Segelohren und meinem Watschelgang. Der Wirt stellt einen Ribisellikör auf den Tisch und kneift der Kellnerin in den Hintern. Die Großwetterlage bleibt unverändert, dröhnt es aus dem Radioapparat, und ich mache, dass ich davon komme.

Unter der Schädeldecke stauen sich die Luftballone. Der Mund ist trocken. Die Augen brennen. Das Schweinscordon ist ebenso in Arbeit wie die Auslage des Dessousgeschäftes, an dem ich gerade vorbei komme. Werden diese Bikinis tatsächlich immer knapper? Allerdings paßt der Stringtanga am besten zur jetzt herrschenden meteorologischen Gesamtsituation, sicher besser als mein T-Shirt, das sich unangenehm schweißtreibend auf den mit Schweinscordonbleu gefüllten Bauch preßt. Ob die Wetterfee einen Freund hat? Immerhin soll sie schwanger sein. Sagt man. Die globale Erwärmung ist auch Thema in der Regierungssitzung. In den Regenwälder singen die Kakadus, und die Großgrundbesitzer brennen alles nieder. Ein Wetterexperte aus Italien gibt einen Überblick über die Situation. Tabellen. Schaubilder. Diagramme. Mir schwirrt der Kopf. Vielleicht hilft eine kalte Dusche. Im Kühlschrank gähnende Leere. Das Erdbeermarmelade: verschimmelt. Die Extrawurst: verdorben. Der Almkäse: vertrocknet. Wenigstens ist noch Bier im Haus. Sehen sich diese beiden Wetterfeen wirklich so ähnlich oder handelt es sich um eine optische Täuschung, verursacht durch Hoch Christina?

Im Kaukasus hat das Tauwetter zu Problemen auf den Ölfeldern geführt. Der Vorarbeiter scheißt einen zusammen, der gar nichts dafür kann, und die Bosse der Ölcompany sind stinksauer. Hundewetter. Scheißwetter. Dreckwetter. Und bei uns? Der Wetterdienst spricht von anhaltender Hochdrucklage. Und jeder Föhnforscher sei dazu aufgerufen, an der Lösung des Problems mitzuhelfen. Auf CNN ist das Wetter besser. Da geht es um die ganze Welt, nicht nur um einen geografischen Ausschnitt. Von Adnang-Puchheim nichts zu sehen. Dafür eine hübsche Animation von diesem Taifun in Caracas, der ganze Häuser vom Erdboden gesaugt hat und bereits 300 Menschen auf dem Gewissen haben soll. In einer Turnhalle verzweifelte Gesichter. Es gibt Maisbrei und Wasser. Die Frauen sind besorgt. Die Männer raufen sich die Haare. Wenn der Wirt geht, wo soll ich dann mein Schweinscordon essen? Ob es inzwischen wieder mobile Klimageräte gibt? Vielleicht noch einmal zum Herrn Doktor?

Draußen auf der Straße kein Mensch zu sehen. Staubiger Asphalt. Flirrende Luft. Gleich kommt Gary Cooper um die Ecke. Ich schmeiße eine Aspirin in ein Glas Wasser und warte ab. Ein armer Teufel hat sich in der Bronx mit einem Feuerwehrnann angelegt, der einen offenen Hydranten wieder zudrehen wollte. Wahnsinn. Die sind nicht gerade zimperlich in den Staaten. Zack. Peng. Im Kulturkanal ein Film über ungewöhnliches Wetterleuchten. Und die Wohnung schaut aus wie nach einem Erdrutsch. Eine große Moräne aus Wäschestücken hat sich über dem Sofa ausgebreitet. Auf dem Fußboden Staubmäuse in der Größe geklonter Mutanten. Im Badezimmer sorgen 16 (in Worten: sechszehn) Paar ebenso unsortierter wie ungewaschener Socken für ein Raumklima ganz eigener Art. Der Mülleimer hat frappierende Ähnlichkeit mit jener Müllkippe, die gestern in den Nachrichten präsentiert wurde, nur die Möwen fehlen. Es ist acht Uhr am Abend und noch immer so heiß wie am Mittag. Wenn der Föhn zusammenbricht, werde ich ein Faß aufmachen. Hoffentlich gibt´s das Beisl und den Wirten dann noch und die Kellnerin und die Frau des Wirten. Morgen wird jedenfalls ein Kältespender gekauft. Irgendwo muß ja noch einer aufzutreiben sein.