/E.T.A. Hoffmanns „Olympia“ und die anderen (Teil 2)
Anmerkungen zum 2. Akt von Hoffmanns Erzählungen
Du Rose, die eben erschaute den Tag, wie lange, oh sag, wirst du leben?
Nach seinen nicht gerade ermutigenden Erfahrungen mit Olympia verschlägt es E.T.A. Hoffmann, der von seiner Suche nach der idealen Frau offenkundig noch nicht genug hat, im 2. Akt der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ in das Haus eines gewissen Rates Crespel. Dort, in einem Zimmer voller Musikinstrumente, sitzt Antonia, die Tochter des Hausherren am Klavier und singt dazu ein Lied. Das sollte sie aber nicht, denn Antonia ist nicht gesund und jede Anstrengung, vor allem das Singen, könnte ihr schaden. Doch E.T.A. Hoffmann, angetan von der hübschen Maid, will seine Angebetete immer wieder zum Singen verleiten, möchte, dass sie sich der Kunst verschreibt anstatt ein langweiliges bürgerliches Leben zu führen. Verständlich, dass der um seine Tochter besorgte Vater dem schmachtenden Dichter schlicht Hausverbot erteilt. Das Ende ist bekannt: Hoffmann, der es trotz allem nicht lassen kann, seine Antonia zum (gemeinsamen) Singen zu verführen, verliert seine Geliebte an einen viel Stärkeren, den Tod. Und so muss Hoffmanns Suche nach der idealen Frau wohl auf immer als eine erfolglose und traurige, im Weinrauch endende Geschichte betrachtet werden.
Doch zurück zum Thema Musik und Gesang: E.T.A. Hoffmann war, neben seiner Stellung als preussischer Staatsbeamter, nicht nur ein begnadeter Dichter und hervorragender Illustrator, sondern auch Musiker und Dirigent. 1806 wird er in Warschau, einem seiner vielen Wohn- und Lebensorte, Mitbegründer der „Musikalischen Gesellschaft“. Dort trifft er auch zum ersten Mal als Dirigent auf. 1808 nimmt Hoffmann eine Kapellmeisterstelle in Bamberg an, wo er zudem die Funktion eines „Directionsgehilfen“, Bühnenarchitekten und Hauskomponisten übernimmt.
Die traurige Geschichte um den Rat Crespel und seine kranke Tochter Antonia findet sich in E.T.A. Hoffmanns Werk „Die Serapionsbrüder“, einer Sammlung phantastischer Novellen. Obwohl erfolgreicher Autor, war Hoffmann zeitlebens und im wahrsten Sinne des Wortes ein armer Schlucker: Ein Genie ohne Geld, das nur allzu gern den Alkohol in großen Schlucken genoss. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, gibt Hoffmann den feinen Damen der Gesellschaft Gesangs- und Musikstunden. Ein netter „Job“, der nicht nur regelmäßig und zuverlässig Geld bringt, sondern bei dem Hoffmann auch allerlei Vertretern des anderen Geschlechts näher kommt: „(…) einen ganzen Schwarm von Comtessen, schmachtender Backfische, empfindsamer, selbstverständlich unglücklich verheirateter Frauen (…). Der Wolf in der Schafherde. Der Wolf ist mit seiner Situation sehr zufrieden und gesteht, dass er eine so liebenswürdige Stadt (gemeint ist Bamberg) nur verlassen würde, wenn man ihm den fest bezahlten Posten eines Kapellmeisters in einem königlichen oder fürstlichen Hause anböte (…)“ (1). Gut möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich, dass Hoffmann auf die Figur der Antonia angesichts der vielen jungen Damen gekommen ist, die ihre Sanges- und Musizierkünste mit Hilfe des Meisters zu optimieren gedachten. Vielleicht ist eine von ihnen, eine hübsche Comtesse, ein schmachtender Backfisch, gar ohnmächtig geworden im Angesicht des leidenschaftlichen Dichters? Dann wäre der Schritt zur unglücklichen Antonia nicht mehr weit.
Interpretationsversuch: Was könnte hinter der Geschichte von der kranken und dem Tod bedrohten Sängerin noch stecken? Psychoanalytisch betrachtet vielleicht die Angst des Sängers (des Musikers) vor dem Versagen. Die deutsche Sprache schafft hier einige Bezüge: „Nicht bei Stimme sein“, „seine Stimme verlieren“, „plötzlich keine Stimme mehr haben“, „ohne Stimme da zu stehen“. Für einen Sänger und eine Sängerin auf der Bühne schlicht der Horror. Allerdings sind solche Ängste nicht nur bei Sängern, sondern überhaupt bei Musikern durchaus verbreitet: „Martha Argerich erzählt von Knie-Schnakeln, das so stark wird, dass sie mit den Füßen stampft, um es zu verbergen, von Panikattacken, kalten Händen und kalten Füßen. Julian Rachlin sprach davon. Ich hatte Angst und wusste nicht, wovor, erzählt Svatoslav Richter über seine New Yorker Konzerte im Jahre 1960. Vor dem zweiten Klavierabend hat mir ein Arzt Drogen gegeben, eine Art Lachmittel, Beruhigungsmittel. Als ich auf dem Podium war und spielte und daneben griff, kam mir das alles komisch vor.“ (2)
Ob solche Ängste hinter der Antonia-Geschichte stecken? Das könnte uns mit letzter Sicherheit wohl nur E.T.A. Hoffmann selbst sagen. Sicher jedenfalls ist (und wen wundert es?) dass weder Olympia, die willenlose Puppe, noch Antonia, die brave Sängerin, Hoffmanns ideale Frauen, Hoffmanns Frauen-Ideal sind. Ebenso sicher ist, dass Hoffmann seine Suche trotz dieser ersten Enttäuschungen fortsetzten wird: im 3. Akt der Oper – und in Venedig, wo ihm eine verführerische Kurtisane namens Giulietta den Kopf verdreht. Ist sie am Ende jene Frau, nach der er so verzweifelt sucht?
(1) Gabrielle Wittkop-Ménardeau: E.T.A. Hoffmann, rororo Bildmonographien, Hamburg 2001
(2) Irene Suchy: Angst ist kein Thema, in: Fidelio, Zeitschrift für Klang, Bewegung und Sprache, herausgegeben von den Musiklehranstalten Wien, Februar/März 2003
(Auftragsarbeit für das Kulturprogramm von Siemens Österreich im Rahmen der Salzburger Festspiele)