/In Sibirien – eine Topografie
In Sibirien zählt der einzelne Mensch nichts, das Gemeine Yakrind dagegen alles, die Frauen sind schön, aber unnahbar, die Landschaft ist karg, und es gibt überdurchschnittlich viele Mondsüchtige.
In Sibirien wachsen bunte Blumen auf Stacheldrähten, Bücher gibt es so gut wie keine, und alle machen, was ihnen der Pope sagt oder der Ortsvorsteher, wenn der nicht zu betrunken dazu ist.
In Sibirien herrscht größte Einsamkeit, die Kinder spielen mit verrosteten Blechdosen, die Bauern murren den ganzen Tag herum, wer gegen das Gesetz verstößt, muss unter freiem Himmel nächtigen.
In Sibirien verkaufen sich junge Mädchen an ungehobelte Gutsbesitzer, bei Schnee und Eis kocht die Bäuerin einen Sud aus Kalmücken, und jedermann singt ein Loblied auf die Ingenieurwissenschaften.
In Sibirien pfeift der Wind über die Steppe, junge Männer üben sich im Speerwurf, die Strahlenforscher suchen nach einer endgültigen Erklärung, und der Pope sagt zu allem Ja und Amen.
In Sibirien sind die Häuser grau und niedrig, der Schnaps ist billig und wird in dickbauchigen Flaschen verkauft, Vögel sieht man kaum, dafür gibt es magere Rentiere, die dümmlich dreinblicken.
In Sibirien machen die Leute, was sie wollen, sie vertrauen auf Gott oder sonstwen, die Frauen sind nackt, die Männer Jäger und tapfer, jedes dritte Kind ist debil.
In Sibirien genießt man vor allem Kohl mit Speck, man hockt vor dem Radiogerät und lauscht den Meldungen aus der Hauptstadt, und hin und wieder schaut ein epaulettengeschmückter Polizist nach dem Rechten.
In Sibirien gelten die Sprüche der Weisen, die jungen Mädchen drehen sich lange Zöpfe, und wenn der Sommer kommt, vergnügen sich die Bauernburschen in hölzernen Zubern.
In Sibirien fängt man den Fisch nach alter Tradition, die ganz kleinen schlagen den Kreisel, wer aufbegehrt, bekommt die Knute zu spüren, und am Schlachttag muss jedermann zugegen sein.
In Sibirien haben die Weiber das Sagen, und wenn der Pope es will, dürfen alle aus der Reihe tanzen, wer allerdings einen Drachen steigen lässt, hat die Folgen selbst zu tragen.
In Sibirien stehen die Männer auf dem Marktplatz herum, aber wenn der Aufseher kommt, machen sie, dass sie wegkommen, der Fusel ist billig, und bei Sonnenaufgang müssen alle wieder ans Werk.
In Sibirien kann sich niemand etwas leisten, der Himmel ist grau, die Bettfedern knarzen, und wenn der Ortsvorsteher eine Runde Karten spielt, ist der Teufel los.
In Sibirien huldigt man dem technischen Fortschritt, zuglich verachtet man die Eisenbahn, und wer eine Rakete unerlaubt zum Abschuss bringt, wird vor den Popen zitiert.
In Sibirien leben die Leute von der Hand in den Mund, die Schweine drücken sich scheu im Schlamm herum, und alte Hexen machen den Männern anregende Getränke.
In Sibirien heiraten die Leute gerne, Rinder werden nur bei guter Fernsicht ins Freie gelassen, die Traktoren pflegt man jeden Samstag zwischen zehn und zwölf, wer irre wird, bekommt den letzten Segen.
In Sibirien streiten sich die Nachbarn um ein Butterbrot, wenn die Zeit reif ist, gibt es Luftballone, die Brüste der Frau des Gendarmen sind imposant, die Äcker werden nur bis zum Sonnenuntergang gepflügt.
In Sibirien gibt es am Sonntag grundsätzlich Yakrindfilet mit Pfeffersauce, die Burschen aus der Stadt pöbeln lautstark herum, Frauen, die sich für etwas Besseres halten, vergnügen sich im Pferdestall.
In Sibirien ist jeder zweite stumm oder taub oder beides, wenn Giftalarm ist, verkriecht man sich in Erdlöchern, im Frühling blühen die Astern auf, und das Leben kehrt zurück.
In Sibirien sind die Straßen schlecht, Öllampen werden stets nur halb gefüllt, schließlich ist morgen auch noch ein Tag, und wenn der Pope kommt, verwandeln sich die Frauen in lächelnde Engel.
In Sibirien riecht es nach Yakmist und Linsensuppe, Atomstrahlen registriert man vor allem in dunklen Hausfluren, die Gebete der weisen Frauen Krasno-Kransk helfen auch nicht weiter.
In Sibirien ist alles möglich, nur hin und wieder steht man vor offenen Fragen, die Fuhrknechte haben schmutzige Fingernägel, das karge Erdreich ist kontaminiert, über den Städten liegt Nebel.
In Sibirien haben fast alle einen stierigen Blick, die Pferde scheißen, wo sie nur können, und wenn die Frau des Gendarmen ihre Brüste zeigt, gibt es meistens ein Wetterleuchten.
In Sibirien strebt man grundsätzlich nach Höherem, Holz ist knapp und darf nur an ungeraden Tagen geschlagen werden, wenn sich der Pope ärgert, muss man auf alles gefasst sein.
In Sibirien kann man leicht den Verstand verlieren, die Schwerindustrie expandiert, und in den frühen Morgenstunden vergnügt sich der Ortsvorsteher hin und wieder nach Art der Kosaken.
In Sibirien muss man vor allem an Montagen mit Gammastrahlen rechnen, wenn das Yakrind durchdreht, gehen die Leute schnell in ihre Häuser, und im Frühling sieht die Welt wieder ganz anders aus.
In Sibirien kann man stundenlang palavern, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, die Frauen sind meistens zu allem bereit, und wenn sich der Große Prachtvogel am Himmel zeigt, stehen die Zeichen günstig.
In Sibirien liegen die Männer betrunken hinter den Öfen, pornografische Literatur ist nur erlaubt, wenn der Gendarm nichts dagegen hat, wer Heu erntet, bevor es soweit ist, bekommt Ärger mit ganz oben.
In Sibirien tragen die Frauen weite Röcke, versinkt der Ochsenkarren im Dreck, darf man dem Popen niemals die Schuld daran geben, Huren werden nur an Samstagen in die Stadt gelassen.
In Sibirien lebt man nach einem ganz bestimmten System, wenn Panzer über die Äcker rollen, gilt es den Wodkavorrat zu erneuern, Phosphatfunde sind sofort bei den zuständigen Stellen zu melden.
In Sibirien pflegt man im Sommer die Kunst der Intrige, öde Kaschemmen sollte man grundsätzlich meiden, und wer die Frau des Gendarmen will, bekommt sie meist auch.
In Sibirien machen die Arbeiter, was sie wollen, will man von A nach B, ist man ohne fremde Hilfe verloren, im Herbst treten die Flüsse über die Ufer, Nacktschnecken erstarren im Unterholz.
In Sibirien geht man stets gebückt, wer sich lächerlich macht, wird in die Steppe gejagt, steht der Vollmond über den Hügeln von Bronin, sollte man allem aus dem Wege gehen.
In Sibirien schrecken die Verwalter vor nicht zurück, wer aus Versehen Schwarzes Wasser trinkt, sollte ein Stoßgebet sprechen, und ist der Gendarm schlecht gelaunt, kann man es auch nicht ändern.
In Sibirien gibt es jede Menge Aufschneider und Hasardeure, der Pope will es allen Recht machen, aber es gelingt ihm nie, die Fabrikarbeiterinnen tragen das Kopftuch nicht ohne Stolz.
In Sibirien liegen viele Äcker brach, kocht die Kolchosbäuerin Borscht, greift der Mann zur Flasche, die Experten der Atomkommission dürfen sich Zutritt zu jedem Raum verschaffen.
In Sibirien zeigen sich erste Symptome schon nach wenigen Monaten, werden die Geschwüre größer, sollte man sich aus dem Staub machen, an manchen Sonntagen gibt es Rentierfleisch.
In Sibirien können ganze Abschnitte kurzerhand zum Sperrgebiet erklärt werden, Dorfschönheiten machen im Prinzip alles, was man von ihnen verlangt, und im Winter friert der Boden bis in zwei Meter Tiefe.
In Sibirien kann einem schnell das Lachen vergehen, der Oberbefehlshaber irritiert alle mit seinem Imponiergehabe, Geigerzähler sind bei längeren Ausflügen im flachen Land grundsätzlich mitzuführen.
In Sibirien kennt sich kaum jemand wirklich aus, wenn der Pope zum Himmel zeigt, verschwindet das gemeine Yakrind hinter dem Horizont, und Kinder, denen die Haare ausfallen, versteckt man vor allen anderen.